Reisestipendium der AO Trauma Deutschland vom DKOU 2023

Dr. med. Heinz-Lothar Meyer

Reisestipendium

Durch das großzügige Reisestipendium der AO Trauma Deutschland konnte ich im Juni/Juli 2024 das Department of Orthopaedics des Beth Israel Deaconess Medical Center (BI) und das Department of Orthopaedics des Brigham and Women‘s Hospital (BWH) in Boston für 6 Wochen besuchen. Beide Krankenhäuser sind Level-1-Trauma-Center und Lehrkrankenhäuser der Harvard Medical School. Die Vorbereitung mit einem B1 Visum und die Kommunikation mit den Krankenhäusern in Boston lief problemlos.

In Boston angekommen wurde ich in beiden Krankenhäusern herzlich von den jeweiligen Teams begrüßt und aufgenommen. Die Organisation des Aufenthalts in den Kliniken war mit einem eigens für mich zugeschnittenen Rotationsplan überaus professionell und zuvorkommend vorbereitet. So wurde ich am BI von den Traumatologen Professor Edward K. Rodriguez, Professor John J. Wixted, Professor Paul T. Appleton und Professor Kiran Agarwal-Harding und am BWH von Professor Michael J. Weaver und Professor Nishant Suneja herzlich und kollegial aufgenommen. Unter der Woche, aber auch privat am Wochenende wurde ich rundum betreut.

Montags, dienstags und freitags war ich im BI eingeteilt und mittwochs und donnerstags im BWH. Der Tag begann für mich um 06:30 Uhr mit der Frühbesprechung. Hier wurde von Operationen und aufgenommenen oder konsiliarisch gesehenen Patienten aus dem Dienst berichtet und es gab eine Tafelvisite. Mehrmals in der Woche fanden interne Fortbildungsveranstaltungen und interdisziplinäre Fallkonferenzen mit einer Konferenzschaltung zwischen BI, BWH und Massachusetts General Hospital, also zwischen den drei größten orthopädisch-traumatologischen Krankenhäusern in Boston, statt. Hier wurden Krankenhaus übergreifend Fälle diskutiert oder Vorträge zu aktuellen wissenschaftlichen Themen gehalten. Auch ich wurde hier aktiv mit eingebunden und durfte meine Einschätzung zu den Fällen geben und berichten, auf welche Weise Patienten in Deutschland versorgt werden. Die Patientenversorgung und Arbeitsorganisation erfolgte durch Assistenzärzte („Residents“) bereits Stunden vor der Frühbesprechung. Nach der Frühbesprechung wurde ich voll in den Tagesablauf des Teams integriert und konnte die OP-Säle oder die Sprechstunden besuchen. Das fachliche Spektrum beinhaltete sowohl die Versorgung der üblichen alterstraumatologischen und sporttraumatologischen Verletzungen, die septische Chirurgie, als auch komplexe Becken- und Acetabulumfrakturen und die operative Versorgung von polytraumatisierten Patienten. Alle Fälle wurden vor- und nachbesprochen und wurden gemäß der AO-Prinzipien unter Beachtung der jeweiligen Weichteilsituation und der Möglichkeit einer konservativen Therapie diskutiert. Die klinisch-operative Versorgung entspricht weitestgehend dem mir aus Deutschland bekannten Vorgehen. Es ist durch die AO Trauma eine einheitliche Sprache und ein internationaler Standard geschaffen worden. Aufgefallen ist mir, die fast ausschließliche Verwendung von Stahlimplantaten in Boston. Weiter sind die Krankenhäuser die von mir besucht wurden, sehr gut und modern ausgestattet mit sehr vielen Ressourcen und Personal. Beispielsweise gibt es eine große Anzahl von orthopädisch technischen Assistenten und chirurgisch technischen Assistenten, die unter anderem das Lagern der Patienten im OP, die OP-Assistenz, das Gipsen und die Wundversorgung in der Notaufnahme sowie die Stationsarbeit übernehmen. Dies stellt eine deutliche Entlastung für das ärztliche Personal dar. Weiterhin beinhaltet die chirurgische Weiterbildung in den USA, im Gegensatz zu der Weiterbildung in Deutschland, keine Rotation in die Notaufnahme oder auf eine Intensivstation. In diesen Fachgebieten gibt es eigene Fachärzte. Die präklinische Notfallversorgung wird komplett nichtärztlich durch die sogenannten „Paramedics“ organisiert. Insgesamt besitzt die Ausbildung der Assistenzärzte einen hohen Stellenwert und ist sehr gut organisiert. In den Sommersemesterferien wird zum Beispiel für alle Assistenzärzte der drei großen traumatologisch-orthopädischen Kliniken in Boston ein Zugangswegekurs an Leichen angeboten mit begleitenden Vorlesungen von Professoren der Harvard Medical School.

Mir wurde über meinen gesamten Aufenthalt hinweg eine große Offenheit und Wertschätzung entgegengebracht. Meine Meinung zum operativen Vorgehen bei komplexen Fällen wurde geschätzt und es bestand ein reges Interesse am deutschen Gesundheits- und Bildungssystem. Besonders hervorheben möchte ich die zeitaufwendige klinische und auch private Betreuung durch Professor Rodriguez und Professor Wixted. Nach Feierabend und an den Wochenenden wurde ich vom Trauma-Team zur Stadtbesichtigung, zum Wandern in New Hampshire, zum „Lobster-Essen“ und zu diversen „Barbecues“ eingeladen, welches alles unvergessliche Eindrücke und Erlebnisse für mich waren.

Abschließend kann ich sagen, dass mein AO Reisestipendium fachlich und menschlich ein voller Erfolg und auf vielen Ebenen sehr bereichernd für mich war. Ich habe an den Kliniken in Boston ein für mich komplett neues Gesundheitssystem kennenlernen dürfen und neue Freunde gefunden. Ein Gegenbesuch aus Boston in Essen und ein mögliches gemeinsames Forschungsprojekt sind bereits in Planung.
Für diese Möglichkeit möchte ich mich bei der AO Trauma Deutschland ganz herzlich
bedanken.

Dr. med. Heinz-Lothar Meyer